Einen tabellarischen Lebenslauf kann man schönen. Ich ziehe einen echten vor, auch wenn es länger dauert ihn zu lesen. Er ist einfach ehrlicher und authentischer.
Geboren wurde ich 1958 in Neuwied. Als ich ein Jahr alt war, zogen meine Eltern, Mutter aus Breslau und Vater aus Gladbeck, nach Karlsruhe. Ich bin die Älteste von 4 Geschwistern ( 3 Brüder) und wir wurden ganz früh angehalten, uns "selbst" zu beschäftigen. Das war sicherlich ein prägendes Moment in meinem Leben, mich als Erwachsene der Gestaltung im weitesten Sinne zu widmen. Dieses stundenlange absichtslose "Spielen" , die Bricolage aus allem, was zur Verfügung stand, zum einen, zum anderen aber auch Bücher, die wir Kinder schon ganz früh vorgelesen bekamen, und die ich, sobald ich lesen konnte, stapelweise aus der fahrenden Bibliothek holte. Es waren in diesen Büchern - WELTEN - , die so garnichts mit meiner unmittelbaren zu tun hatten. Sie beflügelten meine Ideen, mein Fantasie, später auch mein Fernweh, vor allem aber meinen bis heute andauernden Wissendurst , die unbändige Lust am Eintauchen in Neues, die Furchtlosigkeit, sich in neue Gefilde zu begeben, die Freude am "Um-die-Ecke-denken" und die Gräuel vor Gleichschritt und Langweile.
Die Schule habe ich geliebt - als Grundschülerin! Sie war mein Tag. Mit Inbrunst habe ich jedes einzelne Thema und Wort in meine Welt integriert, weiter gesponnen, bemalt, beklebt, beforscht. Ferien empfand ich als Betrug.
Als Gymnasiastin allerdings war diese Schulzeit ganz schnell geprägt vom Angewidertsein von einem "Lehrkörper", der fast samt und sonders zur Kriegsgeneration gehörte. Nicht nur zerschossene Beine und halbe Backen, sondern richtige "Omas" und "Typen", die direkt aus der Feuerzangenbowle hätten stammen können. Hinzu kam ein Elternhaus, das sich gerade ein "Häuschen" geleistet hatte. Nicht etwa weil das gerade Mode war, sondern weil sie mit dem dritten Kind aus ihrer Miet-Wohnung geflogen sind. Ein Elternhaus, was kurz darauf noch das 4. Kind bekam, alles ohne Oma oder Tante in der Nähe, und das eigentlich mit diesem "making life" ziemlich überfordert war. Ich hatte also schon vor der Pubertät Anlass, etliche Modelle der Erwachsenen in Frage zu stellen. In meiner daraus gezogenen Konsequenz, die Schule einfach zu verweigern, lag eine diffuse Ahnung oder besser Hoffnung, dass ich so "raus" komme aus diesem Korsett der Erwachsenen um mich herum. Ich wollte in diese andere Welt meiner Bücher. Allen Ernstes wäre das Modell "Kanada und Typen wie Lederstrumpf begegnen" zu dieser Zeit genau das gewesen, wohin ich gegangen wäre. Die 9. Klasse habe ich somit (tapfer) zweimal nicht gepackt.
So sehr meine Eltern mit dem täglichen Hamsterrad beschäftigt waren, so klug hatten sie darauf reagiert. Sie begriffen, dass ich "selbst" machen muss, und so bezahlten sie mir einen Stenotypistinnen-Kurs - ich war gerade mal 14 - und schickten mich abends auf die Volkshochschule, wo der Hauptschulabschluss nachzuholen war. Auf diese Weise hatte ich allen Ernstes schon mit 15 die erste Berufsausbildung und immerhin einen Hauptschulabschluss. Damit wollte ich unbedingt Schreinerin oder Töpferin werden. Aber ....... wie das so ist....... einem Arbeitsamt habe ich nicht ins Bild gepasst. Zweimal machte man einen Intelligenztest mit mir und war völlig verwirrt, da dessen Ergebnis so überhaupt nicht mit meinen Schulnoten überein stimmen wollte. Außerdem war man der Meinung, dass Mädchen keine Schreiner werden könnten, und es keine Töpferlehrstellen gäbe. Ich solle doch darüber nachdenken, ob ich nicht als Hotelfachfrau glücklich werden könne. Ich habe darüber nachgedacht........ Das Ende vom Lied: Ich habe in Baden-Baden in Brenner's Park Hotel eine Lehre absolviert. Eigentlich eine Ausbildung, die ich jedem jungen Menschen als "Grundstart" raten kann - man bekommt wirklich einen Rundum-Einblick in nahezu alles, was beruflich machbar ist - und zwar möglichst in einem Hotel dieser Kategorie. Ich habe beim Polsterer, in der Wäscherei, bei den Zimmermädchen, in der Floristik, in der Lagerhaltung, im Marketing, in der Abrechnung und Warenbestellung, in der Küche, im Service, beim Kellermeister........ "hands on" gearbeitet und in der Berufsschule die Theorie dazu gelernt. Ich hatte es mit Menschen aus aller Welt, aller Herkünfte und sozialen Stände zu tun, aller möglichen Ethnien und Erziehungen. Vor allem hatte ich gelernt zu arbeiten, schnell zu sein, diszipliniert zu sein, im Team zu arbeiten, Zähne zusammen zu beißen...... Daneben aber hatte ich zwangsläufig Kontakt mit dem Leben von "Les Riches" sowie deren Attributen und Lebensweisen. Ich hatte aber auch gleichzeitig zu tun mit der Gewerkschaft, denn ich war Jugendbetriebsrat. Der geistige und innerliche Spagat war herausfordernd. Und in meiner Mitte war ich dadurch trotzdem, oder gerade deswegen, noch nicht angekommen. Gab es doch noch eine dritte Welt um mich herum und das waren Fleetwood-Mac, Jean-Luc Ponty, John Mc Laughnlin und "Bobby Brown" von Zappa. Es gab die RAF. Es gab Biermann und es gab Kerouac. Es gab die "Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt" von Peter Handtke, es gab die ersten "Müslis" und die ersten Bioläden, es gab Anti-Atom-Bewegung und Friedensbewegung, es gab Baghwan und Jesus-People und traute Open-Air-Festivals, es gab Radio Dreyeckland und die ersten Hausbesetzungen, Discofeeling, Bridge over troubled water und Katja Ebstein, Fassbinder und Truffaut, Nato-Doppelbeschluss und Hungerstreiks von Gefangenen..........
In dieser Melange also erschien mir "möglichst viel zu reisen" als ein gutes Lebensmodell für die nächste Zeit. Das war damals durchaus möglich und beileibe kein Einzelgängertum. Man konnte tatsächlich gut bezahlt eine begrenzte Zeit jobben, dann den Koffer packen und das verdiente Geld verreisen, bzw. unterwegs wieder jobben. Die Vorbilder während meiner Lehrzeit hatte ich ja. Dort gab es jede Menge Kollegen, die so lebten, ohne dabei eine potentielle Roadmovie-Besetzung abzugeben oder aber den Eindruck eines Desperados zu machen. Meine erste Reise führte mich quer durch USA, Mexico und Guatemala. Endlich, endlich kam ich in die Welten, über die ich bisher nur gelesen hatte. Zum ersten Mal hatte ich das Gefühl zu mir zu kommen. Es folgte eine lange Zeit dieser Art des Reisens. Mittlerweile hatte ich in Berlin - als eine der 35000 Kriegsdienstverweigerer-Bräute - meine Basis, von der aus ich diese kleinen und großen Reisen weiter fortsetzte.
Ein Phänomen dieser Zeit waren die vielen jungen Menschen, vor allem in Frankreich, die sich damit ernährten, etwas handwerklich herzustellen. So habe ich - vom Goldschmied bis zum Lederbearbeiter, vom Töpfer bis zum Schnitzer, vom Schneider bis zum Bäcker - das Glück gehabt, in ganz vielen solcher Mini-Betriebe und deren Arten, ihre Waren zu vertreiben, Einblick nehmen und mitarbeiten zu können. Abgesehen davon begleitete mich bereits schon während meiner ersten Reise, immer mein Wasserfarbenkasten. Ich begann selbst das ein oder andere herzustellen, z.B.: Pumphosen und zu Westen umgearbeitete Anzugjacken. Tatsächlich waren sie per Flohmarkt veräußerbar. So bemalte ich ein bisschen das und lötete ein wenig jenes und trabte dann, nicht ohne Erfolg damit zu haben, zu den Märkten. Ich lebte in dieser Zeit - im Alter zwischen 19 und 26 Jahren - das Leben eines glücklichen und sehr regen Schmetterlings, der sich überall ein wenig niederließ, zuschaute, zuhörte, lernte, las, friemelte, jobbte und weiter flog zur nächsten schönen Blüte.
Mit 26 Jahren hatte ich jedoch irgendwann mal das Gefühl: "Achtung! Das könnte als Wurzellose enden!" Hinzu kam, dass sich die Zeit um mich herum veränderte. Helmut Kohl und die "Popper" hatten Einzug gehalten, Brokdorf und Hausbesetzungen, Punk und 1. Mai-Demos wurden Teil des gesellschaftlichen Lebens. Und es geschah mir immer mehr, dass man mich komisch anschaute, wenn ich heute als Blumenfrau, morgen als Sekretärin und übermorgen wieder als Flohmarkterin arbeitete. Das Misstrauen und die Rasterfahnung schlich sich merkbar in die Seelen der Menschen.
So kam es, dass eine Sehnsucht nach einer "bürgerlichen" Existenz entstand. Einer, in der ich mal zumindest eine Zeit lang sagen konnte, was ich arbeite, und dass das morgen noch der Fall ist, und in der ich an einem Ort wohne. Schulabschlüsse nachzuholen, empfand ich als passend. Eigentlich wollte ich das in Freiburg tun, wo ich zu dieser Zeit lebte. Dort jedoch zu dieser Zeit eine Wohnung zu finden für 2 Menschen, war einfach nicht machbar. Mit meinem damaligen Lebenspartner zog ich also nach Karlsruhe zurück, wo wir zunächst in einem VW-Bus lebten und rechtzeitig vor Wintereinbruch eine Wohnung fanden. Die Schulen - das war Gaudi - es fiel mir extrem leicht. Es machte Spaß, morgens mit dem Rad dorthin zu fahren, und den Nachmittag mit Dingen zu verbringen, die ich gerne tat und ab und an auch zu jobben. Kurz vor dem Abitur jedoch stellte sich heraus, dass ich einen Tumor im Kopf habe. Das kam aus heiterem Himmel. Ich hatte großes, großes Glück. Es war ein Craniopharyngiom, zitronengroß aber klar umrissen, insofern operabel und es konnte alles rausgeholt werden. Der Preis war jedoch eine völlige Lebensumstellung.
Ich hatte überlebt. Das war das prägende und Kraft gebende in dieser Zeit. Ich war aber auch von 0 auf 100 eingeschränkt. Mein gesamter Hypophysenkreislauf wurde substituiert, ich hatte Wasser in allen Körperteilen, meine Energie war eine andere als zuvor. Wie sich nach 8 Jahren herausstellte, war diese Substitution ein ärtzlicher Fehler. Eine lange Zeit, die ich damit lebte, mit allen Nebenwirkungen! Meine Agilität, mein Schwebezustand, das gute Gefühl "Und weiter geht's" war dadurch definitiv schwach geworden.
Mein ursprünglicher Traum, der sich während der Schulzeit entwickelte, nämlich eine Jugendherberge zu leiten, dort alles anzubieten, was Freude macht, Kindern und Jugendlichen das Gefühl von Freiheit vermittelt, sie bestärkt, zu tun, was in ihnen steckt, das traute ich mich nun nicht mehr. Also dachte ich nach und fand, dass ich auch in Schulen mit jungen Leuten zu tun haben würde, und dass ich dort vor allem Kunst, Gestaltung, Kultur unterrichten wollte. Meine früh gemachte Gewerkschaftererfahrung und ein damals unverbrüchlicher Glaube in die Chancengleichheit, ließ mich zur Hauptschule greifen. Ich besuchte also die PH Karlsruhe und studierte dort Kunst im Hauptfach, Englisch und Geschichte dazu als Nebenfächer. Mit Begeisterung. Und ich hatte unendlich Glück. Der Kunstbereich wurde von dem Kunsthistoriker Dr. Schütz und dem Künstler Manfred Kästner geleitet, von denen ich unendlich viel lernte. Beiden habe ich zu verdanken, dass ich im Schnelldurchlauf aber nicht minder tiefgehend einen Rundumblick in die Kunstgeschichte und in künstlerisches Arbeiten erhielt. Sie haben diesen Funken in mir entzündet, der mich bis heute trägt. Den Funken der Kunst. Außerdem hat mich die Entwicklungspsychologie, die Geschichte der Pädagogik, Geschichte an sich gepackt. Ich studierte, was das Zeugs hielt. Mit 34 habe ich mein Referendariat abgelegt und begann mit dem Unterrichten. Gleichzeitig hatte ich mir ein Atelier eingerichtet, hatte eine eigene Druckpresse angeschafft und legte parallel los auf meinem Weg als Künstlerin.
16 Jahre lang - teilweise mit heftigen gesundheitlichen Beeinträchtigungen - unterrichtete ich an etlichen und sehr verschiedenen Hauptschulen, während ich gleichzeitig immer tiefer in die Kunst einstieg. Mit 49 Jahren, im Jahre 2007 - also gut 16 Jahre später - gab ich den Beruf als Lehrerin wieder auf. Ich habe unendlich gerne unterrichtet, habe mich so persönlich wie möglich um jeden Schüler gekümmert, und immer dafür gearbeitet, dass die Kinder an sich glauben, dass sie eine Grundlage als Person mitnehmen und ein Gefühl dafür entwickeln, was sie gut können. Ich habe versucht Komplexes einfach zu machen, ihnen wirklich eine Bildung zukommen zu lassen. Allein - das schien nicht gewünscht - und zwar nicht seitens der Schüler - im Gegenteil - jedoch jeweils schulintern bzw. überhaupt schulimmanent. Vielleicht hatte ich auch nie den passenden Stallgeruch für diesen Job. Zumindest hatte ich die ganzen 16 Jahre immer wieder damit zu kämpfen, dass die Rahmenbedingungen kontraproduktiv bis destruktiv waren. Teilweise wurden Schüler sogar persönlich in Differenzen mit einbezogen, und ich erlebte, wie man sie von seiten meiner Kollegen her diffamierte, weil sie Schüler meiner Klasse waren. Auch erlebte ich, wieder und wieder, dass es nicht wenig Kollegen gab, die von ihren Schülern verlangten zu tun, was man ihnen sage mit der Anweisung dabei lieber nicht zu denken. Ich erlebte, dass Kinder in Klassen "aufbewahrt" wurden, obwohl sie dringend spezielle Förderung brauchten, weil man den Klassenteiler mit ihrem Abgang nicht sprengen wollte. Ich erlebte, dass Kinder dringend Zusatz-Unterricht brauchten, der nicht genehmigt wurde, weil der Klassenlehrer gerade Karriere zum Schulleiter machen wollte, und insofern nicht sein konnte, was nicht sein darf....... Es wäre buchfüllend. Letztlich hat mich, nach hunderten solcher Erlebnisse, eines der kleinen weiteren Ereignisse, mit einem Nervenzusammenbruch hinterlassen. Das war schließlich der ausschlaggebende Grund, den Dienst als aktive Beamtin und Lehrerin zu quittieren. Schwer war es nicht, meine gesundheitliche Verfassung gab mir alle Grundlagen und Berechtigung dafür. Traurig aber bin ich immer noch darüber. Denn eigentlich ist es ein ganz toller Job, der mich zwar völlig erschöpft, aber zufrieden über alles am Abend ins Bett sinken ließ. Es ist ein sinnvoller Job, und es ist toll, zu erleben, dass Kinder wirklich eine positive Entwicklung nehmen, und dass man daran einen Teil dazu beigetragen hat. Gleichzeitig ist der immer noch "wilhelminische Geist" in der Schullandschaft unerträglich, vor allem alles andere als zeitgemäß und für viele Kinder absolut biographieschädigend.
Seitdem arbeite ich "nur noch" als Freie Künstlerin. Sie können sich selbst einen Eindruck davon machen, was dabei bisher entstand. Die Seiten "Projekte" und "Ältere Arbeiten und Projekte" geben davon eine Idee.
Wo stehe ich heute? Seit einigen Jahren, mische ich mich ein. Politisch. Zu ultimativ, zu monströs sind die Probleme, die auf die kommenden Generationen zurollen. Und es ist schon längst Zeit, dass sie nicht mehr nur Politikern überlassen werden können, sondern dass wir uns als Zivilgesellschaft in der kommenden Zeit so einmischen werden müssen, dass sich substantiell etwas ändert, und dies möglichst subito. Dahin fließt also ein nicht ganz unerheblicher Teil meiner Energie. Eines der Projekte ist dabei die Bemühung um Stroh-Cohabitate gewesen, mit fossilfree habe ich eineinhalb Jahre zusammen gearbeitet und außerdem an einem Projekt, das den Internationalen Strafgerichtshof anrufen will. Beide Projekte sind nicht abgeschlossen, bleiben vielleicht auch so im Raum. Ich werde sehen.
Außerdem habe ich uralte Eltern. Mein Vater starb 2013, seitdem kümmere ich mich um meine Mutter, die wiederum inzwischen in einem Pflegeheim lebt und serh viel Aufmerksamkeit braucht. Das ist über die Jahre ein Halbtagsjob geworden.
Die Kunst schläft dennoch nicht, aber sie hat eine ruhigere Gangart eingelegt. Ich arbeite an Collagen, arbeite dazu mit einer Druckart, die sich gelliprinting nennt, und es möglich macht, spannende Papiere, die für Collagen verwendet werden können, herzustellen. Außerdem arbeite ich immer wieder Möbelstücke auf und um mit eben jenen handgemachten Papieren.
Was wünsche ich mir? Wieder in einer Künstlergemeinschaft arbeiten zu können, bestenfalls mit immer wieder kleinen gemeinsamen Projekten und Verfolgung von Ideen.
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